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Iring Fetscher
Michael Hardt
Ilya & Emilia Kabakov
Slavoj Zizek
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Alfred Hrdlicka
Wolfgang Fritz Haug
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Intro/ Interview/ Biografie/

Elias Canetti hat in einem kleinen Aufsatz über Alfred Hrdlicka die Menschen, insbesondere die Künstler, in zwei Grundtypen unterschieden: Chaotiker und Destillierer. Für die Destillierer besitzt die Welt eine Substanz, deren Kern es in einem langen Prozess herauszudestillieren gilt. Sie suchen sich vom Chaos der Erscheinung zu befreien, indem sie sich ganz platonisch auf das Wesen konzentrieren. Der Chaotiker dagegen versagt sich diese Reinigung, für ihn ist und bleibt die Welt ein Chaos, die Welt ist ständig im Wachstum, sie ist ein Ereignis. Natürlich ist Alfred Hrdlicka für Canetti ein ganz außerordentlicher Chaotiker, der die Welt verschlingt, die Nähe der Massen sucht und das Chaos des Fleisches genießt.
Genau das war auch mein Eindruck als ich ihm zum ersten Mal Mitte der 80er Jahre an der Kunstakademie in Stuttgart begegnete; um es genau zu sagen, es war eine kurze Begegnung auf dem Parkplatz, Hrdlicka umringt von Studenten zog an mir vorbei. Er war auf der Höhe seines Ruhmes und wurde mit Aufträgen und Angeboten geradezu überschüttet. Der Feuersturmteil des „Gegendenkmal“ in Hamburg war gerade aufgestellt worden und das Wiener „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ mit dem umstrittenen „straßenwaschenden Juden“ befand sich in Vorbereitung. Kurz zuvor hatte ich einen langen Fernsehbericht über den „berühmtesten figürlichen Bildhauer des 20. Jahrhunderts“ gesehen. Die 80er Jahre waren sicherlich eine Zeit der Superlative in der Kunst, alles war wieder erlaubt und man scheute sich nicht einmal mehr Maler und Bildhauer wieder als Genies und Künstlerfürsten zu bezeichnen. Ansonsten erinnere ich mich nur noch an eine weitere Begegnung beim Sommerfest der Klasse Hrdlicka. Es gab Fleischwurst und vor allem Wodka in rauen Mengen, der in einer mit Wasser gefüllten Schubkarre gekühlt wurde. Natürlich hielt sich Alfred Hrdlicka mit seiner damaligen Frau hauptsächlich vor dieser Schubkarre auf.
Jetzt, zwanzig Jahre später, sollte ich ein Interview mit ihm machen. Hrdlicka gilt nach wie vor als bekennender Marxist und durfte deshalb in der Reihe nicht fehlen. Ich muss zugeben, dass mich seine Kunst nicht mehr besonders interessierte, aber die Faszination, die damals von der Person Hrdlicka ausgegangen war, spürte ich immer noch. Der Kontakt kam über seine Galerie in Wien zustande, und man hatte mich gewarnt, dass Gespräche mit Professor Hrdlicka sehr stark von der Tagesverfassung abhingen und im schlimmsten Fall ginge man einfach leer aus. Ich war tatsächlich etwas erschrocken als ich ihn dann in den Räumen der Galerie wiedersah, denn die 20 Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sichtlich geschwächt, gerade von einem kleinen Schläfchen erwacht, wurde er von seiner Frau Angelina hereingeführt. Das Gespräch drohte auch anfänglich an einigen Stellen abzuflachen, aber dann unterlief Alfred Hrdlicka alle Stereotypen, die ich von einem figürlichen Bildhauer erwartet hatte. Eigentlich sind seine Ansichten gar nicht so weit von dem entfernt, was z.B. Slavoj Zizek oder Jean Baudrillard heute äußern. Hrdlicka stellte sich vor, wie Marx und Engels Spuren in der Londoner Wohnung von Marx hinterlassen haben könnten, beim Auf- und Abgehen und Diskutieren wären sozusagen Rinnen im Fußboden entstanden. Stalin sei eigentlich die konsequente Fortsetzung von Marx, denn Theorien bräuchten nun einmal Körper und müssten umgesetzt werden. Leider seien das dann im 20. Jahrhundert häufig sehr blutige Körper gewesen. Theorie in Praxis umzusetzen sei nun einmal eine unheimliche Sache und selbst eine angeblich so friedliche Religion wie das Christentum wisse das sehr wohl. An dieser Stelle muss man aber unbedingt die Abscheu erwähnen, die Hrdlicka vor dem Faschismus und Nationalsozialismus hat. Hrdlicka spürt die Energie und das Potenzial, das von den Massen ausgeht. Die Masse ist für ihn eine schöpferische Kraft sowohl im Positiven als auch im Negativen. Marx hatte in diesem Zusammenhang seiner Ansicht nach etwas Prophetisches, ganz im Gegensatz z.B. zur absurden Volkstümlichkeit des Nationalsozialismus. Alfred Hrdlicka hatte auch ein wunderbares Beispiel für diesen Unterschied: Neulich habe er ein Foto von Hitler in Lederhosen gesehen, von Marx gäbe es so etwas nicht. Die Anwerbung der Masse findet er widerlich - ganz im Gegensatz zur Verführung der Masse. Werbung sei Ausbeutung der Massen, mit Kunst dagegen könne man die Masse verführen und Kitsch spiele dabei eine wichtige Rolle. Die Verführung selbst sei eine großartige Sache, besonders die Verführung durch Fleisch, auch wenn sie moralisch verwerflich sei. Ich hatte kurz zuvor noch einen sehr schönen Aufsatz von Jean Baudrillard „Der Teufel der Leidenschaft“ gelesen und auch dort ging es um die Verführung. Baudrillard grenzt die Verführung von der Liebe ab: Die Liebe ist das Pathos der Moderne gewesen, das Streben nach universeller Harmonie. Die Verführung dagegen sei wie eine Herausforderung zum Duell. Das erinnert an Canettis Unterscheidung von Destillierern und Chaotikern, wobei ich an Alfred Hrdlicka beide Seiten festgestellt habe. Canettis sprach zwar vom Chaos des Fleisches, aber genau an diesem Punkt taucht Fleisch als die Substanz in Hrdlickas Welt auf, Fleisch ist das Reale, das er in seinem Werk unaufhörlich destilliert. Seine Eindrücke von zerstückeltem Fleisch hat Hrdlicka übrigens in einem Wiener Viertel mit dem Namen St. Marx gesammelt. Dazu passt auch irgendwie, dass er sich als religiösen Marxisten bezeichnet. Er verkörpere eben die Dynamik, die vom Marxismus ausgehe und der Marxismus sei alles andere als Tod. Und trotzdem hatte ich am Ende des Gesprächs, als er von seiner Frau wieder in seine Wohnung im oberen Stock geführt wurde, ein bisschen das Gefühl, bereits mit einem Gespenst gesprochen zu haben.